Gab es jemals eine Welt ohne Amerika? Tatsächlich kannte die Tradition von der Antike bis hin zu Kolumbus – sieht man von
norwegischen Eroberern und eventuell bretonischen Fischern einmal ab – kein Land westlich der Gestade des Atlantischen Ozeans. Lediglich im geographischen Mythos und in der Utopie dachte man an Atlantis, man
ahnte die Existenz der Inseln der Hesperiden, später gingen Berichte von den Inseln um, die St. Brendan im Atlantik aufgesucht haben wollte. Doch obgleich keine weiteren, konkreten Anhaltspunkte für Land im
Antlantischen Ozean existierten, war man immer davon überzeugt, daß es im Westen weitergehen würde und man auf diesem Weg nach Asien und Indien gelangen müsse. Dies wußte man, wenigstens theoretisch, denn das
gesamte westeuropäische Mittelalter hindurch, und zwar von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit, waren maßgebliche Intellektuelle, Kirchenväter, Naturphilosophen, volkssprachliche Kosmologen und Reisende davon
überzeugt, daß die Erde eine Kugel ist. Die heute verbreitete Vorstellung von dem Glauben an die Scheibengestalt der Erde im Mittelalter ist Ergebnis einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterlaufenen
Fehlinterpretation einer einzigen Quelle des Mittelalters; ein Fehler, der trotz vielfältiger Fachkritik bis heute nicht aus dem geschichtlichen Alltagsbewußtsein gelöscht werden konnte. Diese Fehlinterpretationen
des 19. Jahrhunderts gründen sich jedoch auf schwindende Sachkenntnis in Fragen der mittelalterlichen Kosmologie, die bereits auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. In zahlreichen Quellen des kosmologischen Denkens im
Mittelalter kann nachgewiesen werden, daß die Autoren von der Kugelgestalt der Erde überzeugt waren. Die Vorstellung von einem Erdglobus – auf dem es noch kein Amerika gab – gehört somit zu dem mentalen
Instrumentarium, mit dem wenigstens der gelehrte Mensch im Mittelalter den Raum dachte, in dessen Rahmen der Mensch dann auch handelte und sich fortbewegte.
Alle Titel sind vergriffen!
Siehe auch: Archäologie der Globalisierung und der Globalität
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