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Paske, Helmut: NIRUPAMA. »Die Unvergleichliche« (Roman) ISBN 3-933664-02-0 (11/1999) 162 Seiten, Ebr., EUR 10,20 / SFr 19,00
Nirupama und Michael, zwei Studenten aus Berlin, verbringen im Jahre 2023 ihre Semesterferien in New York. Dort erleben die beiden eine
romantische Zeit. Als sie nach Berlin zurückkehren, überleben sie mehrere Attentatsversuche, die von unbekannten Tätern verübt werden. Sie wollen in London studieren. Aber auch dort lassen ihnen die Verfolger keine
Ruhe. Sie tauchen in Mittelamerika unter, um in Ruhe ihre Tochter Janine zur Welt zu bringen. Doch es kommt alles anders, als sie sich je gedacht hatten. Sie fliehen weiter. Während sie für Monate in der Wüste von
Namibia den Naturgewalten trotzen, wütet ein Virus auf der Welt, der viele Menschenleben fordert. Nach abenteuerlichen Umwegen stellt sich Michael mit neu gewonnenen Freunden seinem Feind. Die Konsequenzen dieser
Begegnung sind weitreichend für sein weiteres Leben. Daher erklärt Michael seiner Tochter in einem Brief, wie ihre ersten Lebensjahre verliefen.
Leseprobe
New York – New York Semesterferien 2023 in New York. Ich hatte vor lauter Enttäuschung die ‚Flucht‘ nach Manhattan angetreten. Völlig auf mich allein
gestellt, wollte ich die Semesterferien in N.Y. verbringen und mich im kulturellen Leben ‚ersäufen‘. Den Schlüssel zu meinem Herzen hatte ich nach mehrmaligem ‚Umdrehen‘ endgültig verlegt und bildete mir
ein, daß selbst deine Mutter ihn nicht finden könnte. Nachdem ich einen Antiquitätenladen eingehend untersucht hatte, kam mir das Wetter zu sonnig vor, um es in Läden zu verbringen. So schlenderte ich durch die
Straßen Manhattans, ohne darauf zu achten, wo ich mich gerade befand. Ein seltsames Gebilde aus lauter silbern glänzenden Radkappen stach mir ins Auge. Es sah aus wie ein Schlagzeug eines Musikers der
‚ungewöhnlichen‘ Art. Der Mann, mit einem Overall bekleidet, trug ein knallig rotes Käppie und polierte einen der Deckel. In Gedanken an diesen Mann versunken, hörte ich die spöttische Frage: “Na
Erzengel, wartest du darauf, daß er gleich eine Session spielt?” So ist es im Leben. Zwei Sekunden habe ich nicht an sie gedacht und schon spricht sie mich mitten in Manhattan an. Wieder einmal kam ich mir in
Gegenwart deiner Mutter vor wie eine Schachfigur, die irgend ein höheres Wesen auf das Brett gestellt hat, ohne dieser Figur zu sagen, was sie dort tun soll. Am liebsten hätte ich sie einfach in meine Arme genommen
und ihr unverhohlen meine Freude gezeigt, aber dabei hatte ich bei ihr oft ‚Schiffbruch‘ erlitten. “Niru, bist du der Privatdetektiv, den mir meine Eltern nachgeschickt haben, um auf mich
aufzupassen?” “Nein, aber sie hätten gut daran getan, es zu tun. Das Geld hätte ich gebrauchen können, weil bei dir bestimmt Überstunden anfallen würden.” Ihr Lachen verriet mir, daß ich das
richtige Stichwort gegeben hatte. Für sie machte ich mich gerne mal zum ‚Trollo‘. Ihr Lachen ließ mich einfach göttlichen Atem spüren und schien mir diesen Preis wert zu sein. Ihre Gegenwart bereitete mir
körperliche Schmerzen. Die Sehnsucht, sie in meinen Armen zu halten, war für mich wie eine ‚blöde Sucht‘. “Wer ist denn dein Schutzengel?” “Du weißt, ich mache seit Jahren Selbstverteidigung.
Als Bodyguard kann ich keinen Bestimmten gebrauchen. Wie wäre es, wenn du mich als kultureller Ratgeber begleiten würdest?” Die Frage kam so unerwartet für mich, daß ich erst nach ein paar Sekunden “Ja
gerne” antwortete. Mein Versuch, cool zu wirken, ist dabei völlig daneben gegangen, denn sie grinste wieder Sonnenschein in diese Welt. “Wie lange weilen Eure Majestät ‚Nirupama die 1.‘ in diesem
Baukasten New York?” “Wieso hast du vor, unsere Semesterferien mit mir in Manhattan zu verbringen?” Ihre Gegenfrage ließ mein Gesicht voller Enttäuschung entgleisen. “Na ja, laß mal, wenn du
ein guter Reisebegleiter bist, werde ich deine Dienste weiterhin in Erwägung ziehen.” “Ich war gerade im ‚Arts Antique Center‘, aber die Sonne lockt mehr als Korn die Raben.” “Welches
Kornfeld schlagen der Herr vor?” “Möchtest du nicht erst deine Sachen ins Hotel bringen?” “Ja, ich war bei Bloomingdale`s. Mum und Dad werden bestimmt ein paar ‚Bemerkungen‘ zu dieser
Rechnung machen, die mit Kreditkarte bezahlt wurde. Wir müssen nur ein paar Schritte zum Plaza, danach kannst du mich führen, wohin du möchtest!” Ich fürchtete, sie hatte es nicht so gemeint, wie sie es eben
gesagt hatte. Sie hielt mir ihre Taschen hin. Das Gewicht ließ mich darüber erstaunen, wie kräftig dieses zierliche Geschöpf war. Das Plaza Hotel liegt am Central Park 5 th Avenue und 49th Street. Ein pseudofranzösisches Chateau mit Zinnen und Türmen. Ein gutes Stündchen wartete ich, bis sie von ihrem Zimmer kam, welches sie nur für fünf Minuten zum ‚Frischmachen‘ aufsuchen wollte. “Du siehst so hübsch aus, als ob du fast eine Stunde gebraucht hast, dich ‚frisch‘ zu machen.” Sie grinste: “Komm, du Schmeichler. Gehen wir zur ‚Statue of Liberty‘. Ich liebe es, Boot zu fahren.” Wir sollten später öfter auf diese Liebe zurückkommen. Am Sockel der über 200 Jahre alten ‚Lady‘ hob ich feierlich an: “Gebt mir eure müden, eure armen, eure bedrängten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen.” Dann zeigte ich auf die Worte ‚Schickt mir die Heimatlosen und Getriebenen, ich hebe meine Lampe neben der goldenen Tür‘. Es war einfach zu voll, und wir fuhren, ohne die Fackel zu besuchen, zurück. Im Central Park spielten vermutlich Schüler einer Schauspielschule Shakespeares ‚Viel Lärm um Nichts‘. Sie waren im fünften Aufzug vierte Szene. Niru lachte fröhlich über Hundsloch, Spießruthe, Conrad und Borachio. Wir hatten im Unterricht das Video mit Emma Thompson als Beatrice und Kenneth Branagh als Benedikt aus dem Jahre 1993 von diesem Stück gesehen. Außerdem mußte ich Shakespeare mehr im Original lesen, als in einer Übersetzung, so wußten wir beide, worum es ging und sahen das Stück zu Ende. “Schade Michael, daß wir es nicht von Anfang an gesehen haben. Es war sehr amüsant. Ich liebe diese geschliffenen Dialoge, die ‚Wortspielereien‘. Es tat gut, sie einmal sentimental zu erleben. Sie nannte mich meistens Erzengel und versteckte Gefühle hinter ‚Sprüchen‘. “Beatrice und Benedikt werden in der Ehe bestimmt ihre ‚Zunge nicht im Zaum‘ halten können.” “Dir mangelt es auch nicht an Übung meine liebe Niru. “Höre mal! Da spielen sie Jazz und Blues.” Sie hakte sich bei mir ein, und wir drängelten uns den traurigen Klängen eines Big Turner zu. Zum ersten Mal hielt ich sie völlig entspannt in meinen Armen. Sie schloß ihre Augen, genoß wie ich die Musik dieses Mannes, der sich ‚Little Joe Turner‘ nannte. Es dunkelte. Aus Sicherheitsgründen fuhren wir im Taxi die knappen 3 000 m vom Plaza zur 6 th Avenue 20th Street. Dort stand eine alte Kirche, die 1983 als Tanzschuppen umgebaut wurde. Ein neuzeitliches Sodom und Gomorrha namens Limelight. Ungewöhnlich, eine ehemalige Kirche als ‚Disco‘. Das eine Fenster wirkte wie ein kontrollierendes Auge auf die Tanzenden. Wir kamen ziemlich zeitig, das Gedränge war dementsprechend erträglich. Auf der ‚Bühne‘ spielte sich eine ungewöhnliche Szene ab. Ein Mann ohne linken Arm stand vor einer Frau ohne linkes Bein und griff an ihren Stumpen. Sie schlängelte sich, so gestützt, mit dem vorhandenen Bein um den Leib des Mannes. Sie klammerte ihre Arme um seinen Hals und ließ ihren Kopf nach hinten fallen. Sie schloß ihre Augen und bewegte sich rhythmisch. Ihre langen Haare flogen immer heftiger hin und her. Sie vergaß anscheinend, daß 76-90 Augenpaare zusahen, wie der Mann Schwierigkeiten hatte, mit ihr vereint zu bleiben. Er hatte Muskeln wie Arnold Schwarzenegger, der mit 75 Jahren Action dreht, aber er rechnete nicht mit der Wollust, die diese Frau befiel. Wir zogen zu einer entlegenen Ecke und verpaßten das Ende dieser Showeinlage. Der Applaus für die beiden Darsteller war kaum verebbt, als die Musik in unseren Ohren dröhnte. Eine kleine Tanzfläche reichte für uns, um nach den guten alten Oldies von Michael Jackson und den Backstreet Boys zu tanzen. Hier wurde auch alles gespielt. Ein verrücktes Wirrwarr von Musikgeschichte machte sich breit. Mein Dad sagte immer von ‚ABBA bis ZAPPA‘. Hier wurde auch klassische Sphärenmusik gespielt, wie das neumodische ‚Heaven and Hell‘. Wir amüsierten uns, schwitzten wie verwundete Soldaten im Golfkrieg und sprachen in Gebärdensprache über alles Mögliche, was uns in diesem entrückten Schuppen gefiel oder auch nicht. Die Musik war einfach zu laut, um sich anders verständlich zu machen. Ich muß dabei manchmal wie eine nasse Marionette gezappelt haben, da deine Mutter immer wieder, von Lachanfällen geschüttelt, die Unterhaltung stoppte. Es folgten einige mehr oder weniger bemerkenswerte Showeinlagen, die wir lieber nicht erwähnen wollen. Wir gingen, als ein Mann im Handstand in der Lage war, sich so weit herunter zu beugen, daß er an sein edles Teil kam, um es in seinem Mund verschwinden zu lassen. Eine Reihe von Taxis stand vor der Tür. Wir rauschten einem schönen Morgenrot entgegen.
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